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Arno Del Curto

Sie wollen über Misserfolg reden? Schon falsch

Falsch deshalb, weil Eishockey-Coach Arno Del Curto verhindern möchte, dass sich seine Spieler nach einem verlorenen Spiel zu lange mit negativen Gedanken beschäftigen. Vielmehr sollen sie eine Niederlage schnell abzuhaken - aber nur bis zum nächsten Erfolg.

Herr Del Curto, zum ersten Mal in den letzten Jahren läuft es über eine längere Zeit harzig in der Meisterschaft – lassen Sie uns über den Umgang mit Misserfolg ...
... schon falsch gefragt.

Aber ich habe doch noch gar keine Frage gestellt.
Wenn du mit den Spielern darüber redest, dann kannst du nicht gut umgehen mit Niederlagen.

Wie meinen Sie das?
Man muss doch die Situation sehen: Wir haben im Moment so viele verletzte Spieler – da musst du Niederlagen akzeptieren. Einfach akzeptieren. Wissen Sie noch, wie wir vor einem halben Jahr, am Anfang der Saison, gespielt haben?

Hervorragend! Ihre Mannschaft hat neun der ersten zehn Spiele gewonnen, und Sie haben damals geschwärmt, die Spieler stürmten übers Eis wie eine Herde Bullen.
Und dann ging es los mit den Verletzten, einer nach dem anderen, und immer gleich drei von vier Centern oder fünf von acht Verteidigern. Dann muss man einen Flügelstürmer auf der Position des Centers spielen lassen, einen, der das noch nie gemacht hat ... Wenn man nichts gegen die Niederlagen machen kann, muss man sie akzeptieren. Wichtig ist: Jetzt muss man das Beste draus machen – aber nicht darüber reden.

Was ist schlecht daran, über Misserfolge zu reden, grad wenn die Spieler selber ja gar nichts dafür können?
Was bei uns speziell ist: Dass wir trotzdem die Spiele meistens dominieren. Aber wenn wir dann plötzlich selber ein Tor bekommen, machen sich meine Spieler zu viele Gedanken: «Jetzt haben wir doch das Spiel absolut dominiert und werden wieder nicht belohnt.» Genau dieser Satz darf nicht kommen! Aber jetzt reden wir beide darüber – das ist schon falsch. Weil sich sonst im Unterbewusstsein Negatives verankert, eine zusätzliche Unsicherheit.

Aber Sie selber müssen sich ja schon Gedanken machen, sonst könnten Sie gar nicht gezielt eingreifen.
Nein. Das geht sonst ja auch in mein Unterbewusstsein: «Jetzt sind wir wieder nicht belohnt worden.» Nein, in dieser Situation muss ich ohne Wenn und Aber an die Spieler glauben, eine positive Stimmung erzeugen.

Der Sportpsychologe Hanspeter Gubelmann hat gesagt, dass genau das eine Ihrer Stärken sei: in einer schwierigen Situation für einen Umschwung zu sorgen. Nehmen wir das Time-out während eines Spiels. Was machen Sie in diesen 30 Sekunden?
Genau das, was ich vorhin gesagt habe: Dort geht’s darum, die Spieler zu stärken, ihnen Selbstvertrauen zu geben. Ein Time-out nimmt man ja meistens dann, wenn es nicht läuft. Ich muss dann eine gute Balance finden: Sie hart kritisieren, aber ihnen das Selbstvertrauen nicht nehmen. Sonst treffen sie nachher ja keinen Puck mehr.

Sie sagten vorher mit Nachdruck, Niederlagen müsse man einfach akzeptieren. Fällt Ihnen das leicht?
Ich dürfte das gar nicht laut sagen, aber es gibt auch «nützliche» Niederlagen, zumindest auf längere Sicht hin gesehen. Gerade in den Playoffs habe ich das auch schon gemacht: Unser Plan war, die ganze Zeit ein hohes Tempo zu gehen, das Spiel immer intensiv zu halten und so den Gegner zu zwingen, mit der Zeit auf drei oder gar nur zwei Blöcke zu reduzieren. Da haben wir in Kauf genommen, den aktuellen Match zu verlieren, um dann aber den nächsten oder übernächsten zu gewinnen und nachher durchzuziehen ...

... es braucht in den Playoffs ja vier Siege, um weiterzukommen ...
... oder ich mache genau das Gegenteil: Diese Woche haben wir vier Spiele. Wenn es jetzt morgen in Fribourg in der 30. Minute 2:1 für Gottéron steht und ich brutal forcieren würde, dann wären wir beim nächsten Spiel zwei Tage später gegen Lausanne bereits angeschlagen. Ich muss versuchen, die Mannschaft zur bestmöglichen Leistung zu pushen, ohne dass sich meine Leute kaputt spielen.

Sie haben jetzt von Niederlagen gesprochen, die Sie aus bestimmten Gründen in Kauf nehmen. Aber wie gut können Sie grosse Niederlagen akzeptieren – wenn Ihre Mannschaft zum Beispiel wirklich mal die Playoffs verpassen sollte?
Man muss immer das grosse Ganze sehen. Wenn du oben bist, wie wir es in den letzten fünfzehn Jahren waren, dann weisst du: Du fällst eines Tages. 99.99% fallen irgendwann. Das sieht man sogar bei Roger Federer, der erbringt ja immer noch fantastische Leistungen, man müsste in die Knie gehen, aber: Erreicht er bei einem Grand-Slam-Turnier nur noch das Halbfinale, betrachten das viele Leute schon als Niederlage.

Was ist denn das grosse Ganze beim HC Davos?
Wenn wir in diesem Jahr die Playoffs nicht schaffen sollten, dann würden wir trotzdem mit so vielen Punkten Vorsprung ins Playout gehen, dass wir sicher nicht absteigen. Mal eins auf den Deckel kriegen, nachdem wir all die Jahre so grossen Erfolg hatten - das würde dem Klub sehr gut tun, weil dann die Erfolge wieder mehr geschätzt würden. Aber natürlich: Nicht jeder hätte Freude, die Leute wollen ja immer gewinnen.

Für Sie zählt offenbar auch anderes: Als Ihre Mannschaft einst am Spengler-Cup gegen ZSKA Moskau eine bittere Niederlage erlitt und ausschied, sagten Sie: «Alles war sehr gut». War das wirklich Ihre ehrliche Meinung?
Ja, weil ich wusste: Wir haben so viele Verletzte und nächste Woche gleich vier Spiele. Also habe ich nicht alles auf eine Karte gesetzt und die zwei stärksten Blöcke forciert, sondern normal weitergespielt. So kam’s zum Penaltyschiessen – das ist dann halt ein bisschen Lotterie, mal gewinnt man das, mal nicht. Deshalb war es trotzdem eine sehr gute Leistung, obwohl wir verloren haben. So ist es halt im Sport: Manchmal hat man Pech, manchmal bin ich auch mit den Schiedsrichtern nicht zufrieden, wie einst im Playoff-Viertelfinale gegen die ZSC Lions, aber das wird dann nicht öffentlich gemacht, weil es sonst als Ausrede gilt.

An der Kabinentüre Ihrer Mannschaft hängt ja genau dieses Motto: «no excuses». Ist das nicht ein Widerspruch dazu, dass Sie so häufig die Verletzten anführen, um Niederlagen zu erklären?
Man muss Niederlagen akzeptieren. Was willst du machen? Es gibt einen lieben Gott im Himmel, und es gibt den Menschen. Und es gibt eine Mannschaft, und es gibt Verletzte. Und wenn du viele davon hast, musst du es akzeptieren.

Und nicht darüber reden.
Klar reden wir darüber! Aber du musst den richtigen Zeitpunkt dafür finden – nicht nach einer Niederlage. Mein Ansatz ist ein anderer: Gerade unsere jungen Spieler müssen zuerst noch lernen, gute Gewinner zu sein. Das heisst: mit Demut zu gewinnen. Und nicht in der 56. Minute, wenn wir 3:2 führen, an der eigenen blauen Linie übermütig ein Dribbling zu wagen.

Was wäre in dieser Situation das richtige Verhalten?
Sauber und diszipliniert fertig zu spielen.

Das ist mir noch nicht ganz klar. Ein guter Gewinner zu sein – was bringt das für den Umgang mit Misserfolg?
Genau so lernt man, Verantwortung zu übernehmen. Bei Siegen fällt es vielen leichter als bei Niederlagen. Das ist das Schwierige als Coach: Man muss seine Spieler immer wieder hart kritisieren, ohne aber ihr Selbstvertrauen zu schwächen. Deshalb kritisiere ich vor allem dann, wenn wir gewonnen haben.

Das ist interessant. Sie sagen im Grunde: Erfolgreich zu scheitern lernt man während den Siegen.
So ist es. Nur gute Gewinner können positiv auf eine Niederlage reagieren. Mit positiv reagieren meine ich: unzufrieden sein mit der Niederlage, die Verantwortung dafür übernehmen, es nachher unbedingt besser machen wollen. Wenn meine Spieler so reagieren, dann habe ich einen guten Job gemacht.

Gelingt es Ihnen im Moment?
Nein. Mit der älteren Generation habe ich immer einen Weg gefunden, aber die Jungen von heute sind noch anders. Die haben ja alles. Sie sind verwöhnt, und wenn sie ein Spiel oder gar eine Meisterschaft verloren haben, dann tut es ihnen nicht weh, sie sind nicht wirklich betroffen. Sie lassen zwar die Köpfe hängen und sind enttäuscht, aber es tut ihnen nicht richtig weh. Akzeptieren bedeutet eben grad nicht, gleichgültig sein.

Sie vertreten eine ähnliche Philosophie wie der ehemalige Coach der Fussballer von Manchester United, Sir Alex Ferguson. Als dieser gefragt wurde, was seinen Erfolg ausgemacht habe, antwortete er: «recruit bad losers». Was macht solche Spieler genau aus?
Ich nenne sie lieber «positive» Verlierer, denn sie sind eben im positiven Sinn Verrückte. Wenn sie auswärts beim SC Bern spielen und von über 16‘000 Leuten ausgepfiffen werden, sobald sie auf dem Eis sind – dann sind solche Spieler nicht verängstigt und verstecken sich, im Gegenteil: die finden das geil. Diese Art der Verantwortung zeigen sie dann auch im Misserfolg: Sie akzeptieren die Niederlage, sind aber auch so angefressen, dass sie keine weiteren Niederlagen mehr zulassen wollen.

Sehen Sie jemandem sofort an, ob er ein positiver Verlierer ist?
Ja. Und zwar genau daran: dass er sich zeigen will in schwierigen Situationen, sogar Freude daran hat.

Eine schwierige Situation nicht nur passiv zu akzeptieren, sondern sogar Freude daran zu kriegen, das haben Sie selber vorgelebt, als Sie Ihre Karriere als Spieler bereits im Alter von 21 Jahren wegen eines Fussgelenkbruchs abbrechen mussten.
Ach, das war ganz einfach. Noch an Krücken humpelte ich zu den Junioren, merkte schnell, ich kann denen helfen und übernahm dann eine kriselnde Mannschaft in Wallisellen. Und siehe da, es funktionierte, plötzlich gewannen wir Spiele, die Spieler kämpften um ihr Leben ... Das zeigte mir: Da ist was möglich. Bald einmal hatte ich ein neues Ziel: Ich wollte der erste Schweizer Coach in der NLA sein.

Leichter gesagt als getan. Der Psychiater Daniel Hell sprach vom schwierigen Prozess, aktiv resignieren zu können. Damit meinte er: auf das Unmögliche verzichten, dafür nach dem Möglichen greifen. Wie haben Sie das gemacht?
Ganz einfach: Ich habe die Situation akzeptiert. Und es dann so entschieden.

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